Der Nachsommer by Stifter Adalbert

Der Nachsommer by Stifter Adalbert

Autor:Stifter, Adalbert [Adalbert, Stifter]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-04-10T04:00:00+00:00


Wir gingen nun in ein Zimmer, das für uns geheizt worden war, verzehrten dort unser Abendessen, blieben noch eine Zeit in Gesprächen sitzen, und begaben uns dann in unsere Schlafgemächer.

Am andern Tage war ein klarer Reif über Wiesen und Felder. Die Nebelfäden unserer Umgebung waren verschwunden, alles lag scharf und funkelnd da, nur das Tiefland war ein einziger wogender Nebel, jenseits dessen das Hochgebirge deutlich mit seinen frischen und sonnigen Schneefeldern dastand.

Kurz nach Aufgang der Sonne fuhren wir fort, und bald waren ihre milden Strahlen zu spüren. Wir empfanden sie, der Reif schmolz weg, und in kurzem zeigte sich uns die Gegend wieder wie gestern.

Wir besuchten eine Kirche, in welcher mein Gastfreund Ausbesserungen an alten Schnitzereien machen ließ. Es war aber gerade jetzt nicht viel zu sehen. Ein Teil der Gegenstände war in das Rosenhaus abgegangen, ein anderer war abgebrochen und lag zum Einpacken bereit. Die Kirche war klein und sehr alt. Sie war in den ersten Anfängen der gotischen Kunst gebaut. Ihre Abbildung befand sich unter den Bauzeichnungen Eustachs. Als wir alles besehen hatten, fuhren wir wieder weiter.

Nachmittags gesellte sich Roland zu uns. Er hatte uns in einem Gasthause erwartet, in welchem unsere Pferde Futter bekamen.

Ich konnte, da wir uns eine Weile in dem Hause aufhielten, und später bei einer andern Gelegenheit, da wir eine Strecke zu Fuß gingen, wieder bemerken, daß seine Blicke zuweilen auf Natalien hafteten.

Er hatte Zeichnungen in einem Buche, das er bei sich trug, und er hatte Bemerkungen und Vorschläge in sein Gedenkbuch geschrieben. Er teilte von beiden einiges mit, soweit es die Reise gestattete, und versprach, abends, wenn wir in der Herberge angelangt sein würden, noch mehreres vorzulegen.

Am nächsten Tage nachmittags kamen wir nach Kerberg und besahen die Kirche und den schönen geschnitzten Hochaltar. Mir gefiel er jetzt viel besser, als da ich ihn in Gesellschaft meines Gastfreundes und Eustachs zum ersten Male gesehen hatte. Ich begriff nicht, wie ich damals mit so wenig Anteil vor diesem außerordentlichen Werke hatte stehen können; denn außerordentlich erschien es mir trotz seiner Fehler, die, wie ich wohl sah, in jedem Werke altdeutscher Kunst zu finden sein würden, die ich aber in dem Bildnerwerke, das auf der Treppe meines Freundes stand, nicht fand. Wir blieben lange in der Kirche, und ich wäre gerne noch länger geblieben. Vor der Ruhe, dem Ernste, der Würde und der Kindlichkeit dieses Werkes kam eine Ehrfurcht, ja fast ein Schauer in mein Herz, und die Einfachheit der Anlage bei dem großen Reichtume des Einzelnen beruhigte das Auge und das Gemüt. Wir sprachen über das Werk, und aus dem Gespräche erkannte ich jetzt recht deutlich, daß früher auch vor diesem Werke die zwei Männer auf meine Unkenntnis Rücksicht genommen hatten, und ich dankte es ihnen in meinem Herzen. Ich nahm mir vor, einmal von dieser Schnitzarbeit ein genaues Abbild zu machen und es meinem Vater zu bringen.

Ich äußerte mich, wie schön, wie groß einmal die Kunst gewirkt habe, und wie dies jetzt anders geworden scheine.

»Es sind in der Kunst viele Anfänge gemacht worden«, sagte mein Gastfreund.



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